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29.02.2024

Kritischer Blick auf die Informatik statt Computergläubigkeit

Hochschule

Viel Engagement für das Fach  und ihre Studierenden

Prof. Dr. Ulrike Erb geht nach über 20 Jahren an der Hochschule in den Ruhestand

Schon in den 1970er Jahren warnte der Informatiker Joseph Weizenbaum vor der Unbeherrschbarkeit großer Softwaresysteme. Nicht einmal die Entwickler:innen selbst könnten Systeme mit hunderten oder tausenden Zeilen Programmcode vollständig durchschauen. Wer behält hier den Überblick und weiß im Falle eines Fehlers genau, wo sich dieser versteckt? Vermutlich niemand.

Kritischer Blick auf das Potenzial der Informatik

Wenn Entscheidungen auf Basis von Algorithmen getroffen werden, deren Entscheidungskriterien keiner mehr durchschaut, birgt das ein großes Gefährdungspotenzial. Es kann schnell zu einer Katastrophe führen, wenn durch einen Fehler im Quellcode versehentlich nukleare Waffen ausgelöst werden. Bereits in den 1980er Jahren, als die ersten Pershing II-Raketen in Deutschland stationiert wurden, wiesen Informatiker:innen auf Risiken von  komplexen Computerprogrammen hin. Eine von ihnen: Prof. Dr. Ulrike Erb. Sie hatte bereits als Studentin auch eine kritische Sicht auf ihr Fach: „Mir ist wichtig, dass man auch die problematischen Aspekte der Informatik sieht. Das hatte ich immer im Blick. Ich wollte nicht dazu beitragen Technologien zu entwickeln, die am Ende niemand mehr kontrollieren kann.“

Für die Informatik entschieden hat sich Prof. Dr. Ulrike Erb nach ihrem Abitur im Jahr 1976. Damals war das Fach noch recht unbekannt: Nur an drei deutschen Hochschulen konnte man sich dafür einschreiben. Dass ihr Vater beruflich mit EDV zu tun hatte, hat früh ihr Interesse für Programmiersprachen geweckt. „Meine Eltern haben mir dazu geraten, mich für einen technischen Beruf zu entscheiden. Auch wenn der Bereich noch sehr neu war, war ihnen bewusst, wie zukunftsweisend er ist“, sagt die Professorin. Außerdem sei ihr wichtig gewesen, sich gut in dem Fach auszukennen, dessen Entwicklung sie zum Teil so kritisch sah. Denn: „Statt blind an technischen Fortschritt zu glauben, wollte ich Computer und ihre Funktionsprinzipien verstehen.“

Frauenperspektiven in der Informatik

Nach dem Studium in Kaiserslautern war sie zunächst als wissenschaftliche Referentin der damals frisch in den Bundestag gewählten GRÜNEN tätig. 1988 wechselte Prof. Dr. Erb an die Universität Bremen, wo sie auch promovierte. Das Thema ihrer Doktorarbeit lautete „Frauenperspektiven auf die Informatik - Informatikerinnen im Spannungsfeld zwischen Distanz und Nähe zur Technik“. „In meinem Informatikstudium waren nur etwa vier von sechzig Personen weiblich. Aber an der Universität Bremen gab es eine starke und engagierte Gruppe von Informatikerinnen, die sich als Frauenbeauftragten-Kollektiv für die Erhöhung des Frauenanteils in der Informatik eingesetzt haben“, sagt Prof. Erb. Sie schloss sich der Fachgruppe „Frauen und Informatik“ in der Gesellschaft für Informatik an, in der sie sich bis heute engagiert - unter anderem als Redakteurin des Magazins „Frauen machen Informatik“, das jährlich herausgegeben wird.

Dem Ruf nach Bremerhaven gefolgt

Nach mehrjähriger Tätigkeit in der Softwarebranche folgte Dr. Ulrike Erb 2003 dem Ruf an die Hochschule Bremerhaven und wurde Professorin im Fachgebiet "Informationssysteme im Dienstleistungsbereich". Dort traf sie Gleichgesinnte - nicht nur da, wo es um weibliche Perspektiven und einen kritischen Blick auf die Informatik geht, sondern auch bei einem weiteren Thema, das ihr am Herzen liegt: der Nachhaltigkeit. „Wichtig ist nicht nur, wie man mit Computern zum Umweltschutz beitragen kann, sondern auch, wie Hardware und Software selbst nachhaltiger werden können“, erklärt Prof. Erb. So ermöglichten z.B. modular aufgebaute Softwareprodukte eine Reduktion des Speicher- und Energiebedarfs, wenn sie den Nutzenden erlauben, nur die Module zu installieren, die sie tatsächlich nutzen wollen. „In der Informatikausbildung legen wir ab dem 1. Semester Wert darauf, den Studierenden Programmieransätze zur Reduzierung von Komplexität und zu sparsamem Verbrauch von Rechenleistung und Hardware-Ressourcen zu vermitteln“, sagt Professorin Erb.  Hardware und Endgeräte sind dadurch länger nutzbar und müssen seltener gegen leistungsstärkere Komponenten ausgetauscht werden. Insbesondere die Entwicklung und Nutzung von Open Source Software führe zu langlebigeren Systemen, da der Quellcode frei zugänglich und somit unabhängig von kommerziellen Anbietern anpassbar und austauschbar ist.  

Nachhaltige Informatik ist Thema in der Lehre

„Darüber hinaus nutzen wir in unseren Laboren möglichst wiederverwendete Geräte und stellen Leihnotebooks zur Verfügung für Studierende, die – noch - kein eigenes Notebook mitbringen. Dadurch kann auf teure Laborrechner verzichtet werden“, erläutert Prof. Erb. In der Informatik sei es nicht notwendig, immer das neueste Modell zu haben, sondern es reichen meist einfache Notebooks. „Wenn wir neue Hardware benötigen, so kaufen wir nach Möglichkeit refurbished und bereiten sie selbst entsprechend auf.“ Beim Refurbishing werden gebrauchte Produkte professionell generalüberholt und dann deutlich günstiger weiterverkauft. Es handelt sich dann zwar um ältere Modelle, die jedoch noch einwandfrei funktionieren. Auf diese Weise lernen die Studierenden von Anfang an, wie sie nachhaltig mit den Ressourcen umgehen können. 

In der Klimawoche der Hochschule hat Prof. Dr. Erb zusammen mit Kolleg:innen aus der Informatik und der Digitalen Medienproduktion einen Workshop zur nachhaltigen Programmierung und Webseitengestaltung veranstaltet. „Auf vielen Webseiten ist zum Beispiel die Dateigröße der Bilder unnötig groß. Eine Verringerung der Qualität um 60% ist mit dem bloßen Auge gar nicht erkennbar, spart aber viele Ressourcen.“ Auf diese Weise verringern sich die Ladezeiten und der Datenverbrauch. Ressourcensparsam programmierte Anwendungen sorgen nicht nur für einen niedrigeren Energieverbrauch, sondern tragen auch zur Barrierefreiheit bei, weil sie auch ohne superschnelle Datenübertragung funktionieren.

Digitale Souveränität in Zeiten von Big Data

Den kritischen Blick auf die Entwicklung der Informatik hat sich Prof. Dr. Erb bewahrt und trägt diesen auch in den Studiengang hinein. Digitale Souveränität ist ihr dabei ein besonderes Anliegen. Gemeinsam mit Kolleg:innen sensibilisiert sie ihre Studierenden für die Frage, was bei der Nutzung von Internet- und Cloudanwendungen mit personenbezogenen Daten passiert und mahnt zu mehr Vorsicht. „Wir wollen wissen, wo unsere Daten landen, und finden, dass IT-Infrastrukturen an sicheren und vertrauenswürdigen Orten aufgebaut werden sollten.“ Wenn z.B. Videokonferenzsysteme genutzt werden, die an der Hochschule administriert werden, hat die Hochschule die Hoheit über den Schutz der Daten. Diese digitale Souveränität ist bei der Nutzung von kommerziell betriebenen Konferenzsystemen nicht der Fall, noch dazu, wenn diese auf Servern außerhalb des Geltungsbereiches der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung gehostet werden. In der Informatik-Infrastruktur wird ausschließlich mit Open Source Software gearbeitet, um unabhängig von großen Unternehmen zu bleiben und um die Systeme selbst anpassen und erweitern zu können.

Auf Augenhöhe mit den Studierenden

Bei allem Engagement für die vielfältigen Themen hat Prof. Dr. Ulrike Erb immer ihre Studierenden im Blick behalten. „Lehre war für mich immer das Wichtigste. Wir können das, was uns fachlich interessiert, in den Lehrveranstaltungen behandeln und uns im Sinne des forschenden Lernens damit beschäftigen. Das Verhältnis zu den Studierenden macht mit den Jahren immer mehr Spaß, weil man selbst immer sicherer wird. Mir ist es wichtig, ihnen auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen. Ich mache jetzt seit zwanzig Jahren Lehre und es ist einfach schön, das inzwischen aufgrund meines Erfahrungsschatzes recht entspannt betreiben zu können.“

Mit dem Wintersemester endet zwar die Professorinnentätigkeit von Dr. Ulrike Erb, der Hochschule und ihrem Fach bleibt sie aber noch etwas erhalten. Sie hat bereits einen Lehrauftrag angenommen und freut sich, weiterhin mit Studierenden und ihren Kolleg:innen arbeiten zu können. Ihre neugewonnene Freizeit möchte sie nutzen, um sich noch stärker ehrenamtlich bei der Fachgruppe „Frauen und Informatik“ und dem „Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ (FIfF) zu engagieren. Ihre nächste große Aufgabe ist die diesjährige FIfF-Herbsttagung zum Thema „Nachhaltigkeit in der IT mit und durch Open Source“ vom 25. bis 27. Oktober an der Hochschule Bremerhaven, die sie gemeinsam mit Kolleg:innen organisieren wird.

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